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Quincy Jones: Der vielleicht größte Musikproduzent aller Zeiten

Statt eines langweiligen Lebenslaufs: Eine Würdigung für den Mann hinter Michael Jackson, Aretha Franklin, Frank Sinatra, Ray Charles, Miles Davis, Lionel Richie, John Lee Hooker, Ella Fitzgerald, Al Jarreau, u.v.m.

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Quincy Jones (✞ 91) Dominic Favre/KEYSTONE/dpa

Der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras gilt nicht nur als Erfinder der nach ihm benannten Formel a² + b² = c², mit der sich die Kanten rechtwinkliger Dreiecke berechnen lassen. Er war wohl auch der Erfinder der Musiktheorie, was ja auch logisch ist, denn Musik ist mit Takt, Rhythmus, Tonfrequenz und dem als Formel darstellbaren Aufbau von Songs (z.B. A-A-B-A) letztlich die schönste Form hörbarer Mathematik. Insofern hätte Musiker und Produzent Quincy Jones den Nobelpreis für Mathematik, Kategorie klingend, verdient gehabt, denn er war ein musikalisches und damit auch mathematisches Genie.

Great Depression und Gangs in der Nachbarschaft

Als Quincy Jones am 14. März 1933 in Chicago geboren wird, da leiden die USA noch unter der großen Wirtschaftsdepression und in Deutschland ist Adolf Hitler seit sechs Wochen der Machthaber. Sie leben im South-Side-Ghetto. Der Vater arbeitet als Schreiner, seine Kunden sind Gangsterbosse. Als Deutschland am 1. September 1939 Polen überfällt und damit den zweiten Weltkrieg beginnt, ist Klein Quincy ABC-Schütze. Der Krieg in Europa ist noch weit weg. Quincy interessiert sich vor allem für das Klavier der Nachbarstochter Lucy Jackson. Musik gibt es auch zu Hause. Seine Mutter Sarah Frances, Bankangestellte und Immobilienverwalterin, singt Gospelsongs (meistens A-B-A-B-Form) oder Blues-Stücke (meistens A-A-B-A-Form, wie auch bei den meisten Pop-Songs).  

Aber ein Klavier gibt es nur bei den Nachbarn, und Lucy von nebenan spielt einen Stil, den man Stride Piano nennt. Die linke Hand Bass und Rhythmus, die rechte Melodie und Improvisation. Das typische Jazz-Piano. Quincy lässt sich dann häufiger bei den Jacksons blicken und Lucy erinnert sich einmal, dass man ihn gar nicht mehr von Klavier weg bekam. 

Das Leben im Viertel ist rau. Die Straßen werden von Gangs beherrscht. "Als ich 7 Jahre alt war, hat mich ein Typ mit einem Messer angegriffen. Ich war einfach nur in der falschen Straße." Nach Chicago war die Familie mit der "großen Migration" gekommen, als sechs Millionen Schwarze in den Norden zogen, weg von den damals noch rigiden Rassegesetzen im Süden.

"Wie zur Hölle können acht Bläser gleichzeitig unterschiedliche Töne spielen?"

Dann erreicht der zweite Weltkrieg auch die Jones'. Sein Vater bekommt einen Job in einer Werft, die Kriegsschiffe repariert. Sie ziehen nach Westen an die Pazifik-Küste, nach Bremerton. Quincys Mutter kommt mit all den Krisen nicht klar und erleidet schizophrene Anfälle. Der Vater reicht die Scheidung ein und heiratet seine zweite Frau Elvera. Die bringt drei Kinder mit in die neue Familie, wo es bisher Quincy und seinen jüngeren Bruder Lloyd gibt. Quincy senior und Elvera bekommen dann nach und nach nochmal drei Kinder. Macht zusammen eine Riesenfamilie mit acht Sprösslingen.

Nach dem Krieg ziehen sie nach Seattle, der Hauptstaat des Bundesstaats Washington. Quincy kommt auf die Garfield High School. Einer seiner Klassenkameraden, Charles Taylor, spielt Saxophon. Quincy lernt Trompete. Charles Mutter, Evelyn Bundy, ist Bandleaderin in einer Jazz-Combo. Mit 14 sieht er einen Club-Auftritt von Ray Charles, damals 16, blind und ein noch ein komplett unbekannter Musiker. Quincy erinnert sich später:

"Ich fragte ihn: Wie zur Hölle können acht Bläser zur gleichen Zeit unterschiedliche Töne spielen? Und er antwortete: Einfach! Und bang!, knallte er einen B7-Akkord und einen C7. Das war der Bebop-Sound. Das hat bei mir die Tür geöffnet. Ich lerne nämlich schnell." 

"Was Du anfängst, das führe auch zu Ende"

Fehlt nur noch eines zum Grundstein für die unfassbare, annähernd ein Jahrhundert umfassende Karriere des Quincy Jones, nämlich seine unglaubliche Arbeitsethik. Sein Vater, der Tischler, habe ein Motto gehabt: "Was Du anfängst, das führe auch zu Ende. Lass es niemals liegen, bevor es fertig ist. Sei die Arbeit leicht oder schwer, mach es gut oder lass es ganz." Das englische Original klingt freilich viel besser, nämlich als Reim:

Once a task is just begun,
never leave until it's done.
Be the labor great or small,
do it well or not at all.

Schliff und Ausbildung holt sich Quincy Jones in ersten Bands und an Unis in Seattle und Boston, für die er Stipendien bekommt. Er trifft Lionel Hampton und spielt in dessen Band. Dann geht es nur noch aufwärts und eines ergibt sich aus dem anderen. Von den 1950ern bis zuletzt arbeitet er mit den Top-Musikern der Welt. Und er genießt sein Leben. "Er war immer nett und süß", erzählt Gertrude Peoples, die einst ein Doppel-Date mit Quincy Jones und seiner Freundin Gloria Jenkins hatte und mit ihm befreundet blieb. "Ich habe ihn nie irgendetwas Schlechtes über andere sagen hören. Er gab jedem das Gefühl, mit ihm befreundet zu sein."

"Er begräbt seinen Schmerz unter Arbeit, Arbeit, Arbeit..."

Obwohl ihn auch Sorgen umtreiben, aber die verdrängt er. Seine Tochter Kidada schreibt in ihrer Biographie: "Mein Vater kann mit Schmerz schlecht umgehen. Er lässt ihn nicht in sich rein. Er ist wie Winnie Puh: Die süßeste, netteste Person. Aber seinen eigenen Schmerz begräbt er unter Deals, Essen, Ideen, Manuskripten, Arbeit, Arbeit, Arbeit."

Im Ganzen hinterlässt Quincy Jones sieben Kinder. Eines hat er mit der deutschen Schauspielerin Nastassja Kinski, Kenya, inzwischen erfolgreiches Model. Sie ist seine jüngste Tochter und um sie kümmert er sich besonders hingebungsvoll. Als sie 11 Jahre alt ist, sagt er in einem Interview: "Sie hat auf dem französischen Gymnasium elf Einser und zwei Zweier. Das habe ich gut hinbekommen."

Und als er im Alter von 75 Jahren nach seinen Beziehungen zu Frauen gefragt wird: "Ich habe 18 Freundinnen. Acht-Zehn! Eine ist Kimberly Hefner", die Ex von Playboy-Gründer Hugh Hefner. "Fünf oder sechs von ihnen sind so um die 23 oder 24 Jahre alt. Ich könnte mit einer 75-Jährigen nicht ausgehen."

Einer, der den ganz großen Traum gelebt hat

Was jetzt vielleicht nicht der netteste seiner Sätze ist, aber Quincy Jones war im Leben immer ehrlich. Was für Typen wollen wir? Die aalglatten, die nur die makellose Oberfläche zeigen oder die ehrlich Guten, die das Leben lieben? 

Das Kind aus dem Southside-Ghetto von Chicago konnte vermutlich sein Glück kaum fassen, als er seine Villa im feinen Bel Air bezog und als Produzent und Musiker weltweit gefeiert wurde. Einer, der den ganz großen Traum gelebt hat. Mit Talent, Fleiß, mathematischer Konsequenz und einem Sinn für alles Schöne. Eine Weltkarriere, die ihn immer wieder auch nach Deutschland führte und die länger anhielt als ganze zeitgeschichtliche Epochen.